Antizipation

Gegnerinnen und Gegner gut „lesen“ können. Spielerinnen und Spieler, die „einfach richtig stehen“. Kinder im Sportunterricht, die „keine Bälle mehr fangen können“.

Das sind Aussagen, die im Sport weit verbreitet sind. Damit in Verbindung steht der Begriff der Antizipation. Doch basieren antizipative Fähigkeiten ausschließlich auf Erfahrung oder lassen sich diese durch Training schulen?

Was bedeutet Antizipation?

Im Allgemeinen beschreibt die Antizipation eine vorwegnehmende gedankliche Erwartung. Im Zuge unserer Diagnostik und des Trainings gliedern wir den Begriff in Bewegungs- und Zeitantizipation. In beiden Fällen handelt es sich um einen kognitiven Prozess, durch den du relevante Merkmale für die nachfolgende Handlung frühzeitig erkennen sollst. Von großer praktischer Relevanz ist die Raum-Zeitorientierung. Sie ist erforderlich, um Entfernungen und Geschwindigkeiten adäquat einzuschätzen. Im Sport ermöglicht dir das Schätzungsvermögen, die zukünftige Lage eines Balles anhand der Faktoren Geschwindigkeit, Distanz und Zeit vorherzusagen.

Bei der Bewegungsantizipation geht es neben der Vorstellung und Vorwegnahme fremder Bewegungen auch darum, diese beim Entwurf der eigenen Bewegung zu berücksichtigen. Aktionen deines Gegenübers sollen vorhergesehen werden, um bereits während des eintretenden Ablaufs eine zielorientierte Entscheidung zu treffen. Trainerinnen und Trainer können durch Anweisungen die Aufmerksamkeit auf antizipationsrelevante Regionen lenken.

Die Zeitantizipation wird durch optische, akustische, haptische und kinästhetische Empfindungen beeinflusst. Zudem wirken sich das Bewegungsfeld, das bewegte Objekt sowie die Richtung der Bewegung auf das Geschwindigkeitserleben aus.

Was nützt mir Antizipation im Sport?

Wie schnell kommt der Ball auf mich zu, wie weit ist der Ball entfernt oder wie lange wird es dauern, bis mich das Zuspiel erreicht? Hierfür nimmst du Informationen über das visuelle System auf und verarbeitest diese anschließend im Gehirn, um den weiteren Verlauf zu ermitteln. Im Geschwindigkeits-Distanz-Schätzvermögen ergeben sich erfahrungsgemäß große individuelle Unterschiede. Wie bei anderen kognitiven Prozessen spielen auch vergangene Erfahrungen als Referenz für die Vorhersage einer spezifischen Situation eine Rolle.

Kann ich Antizipation trainieren?

Antizipation hängt mit weiteren kognitiven Fähigkeiten zusammen. Du trainierst antizipative Fähigkeiten also oftmals mit, ohne dass du dich bewusst in diesem Bereich verbessern möchtest. Wenn du Antizipation isoliert trainieren möchtest, befindest du dich inhaltlich im Visualtraining. Das oberste Ziel besteht hierbei in der Tiefenwahrnehmung, die es erst ermöglicht, durch räumliches Sehen die Faktoren Geschwindigkeit, Zeit und Distanz bestmöglich zu erahnen.

Beide deiner Augen produzieren einzelne Bilder, erst durch die visuelle Verarbeitung kommt es zu einer Überlagerung und einem binokularen Bild. Dieser Prozess lässt sich aktiv durch Training verbessern, wodurch du schlussendlich deine antizipativen Fähigkeiten steigerst.  

Die eingehende Fragestellung, wodurch sich Antizipation ergibt und ob dies trainierbar ist, lässt sich nicht rein pauschal beantworten. Bisherige Erfahrungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, sich wiederholende Muster und Abläufe zu erkennen. Auch das Eigenkönnen spielt dahingehend eine große Rolle, inwiefern die Aufmerksamkeit auf das gegnerische Vorhaben gelenkt werden kann. Je mehr man mit der eigenen Handlung beschäftigt ist, umso schwieriger ist es, Dinge vorwegzunehmen.

Gegenteilig ist eine geschulte Wahrnehmung von Vorteil, da du mehr antizipationsrelevante Informationen aufnehmen und verarbeiten kannst. Gesamt gesehen steht Antizipation neben Erfahrung und Eigenkönnen vor allem in Verbindung mit weiteren kognitiven Fähigkeiten. Sowohl periphere Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Reaktion, Inhibition und das Arbeitsgedächtnis nehmen Einfluss auf antizipative Fähigkeiten.

Isoliert betrachtet liegt der Ursprung bei Defiziten oftmals im visuellen System. Heißt es im Fußball das Kopfballspiel ist schwach, werden im Training vermehrt Kopfbälle an sich trainiert. Kaum wird hier der Ursprung von Defiziten tiefgründiger hinterfragt. Schlechtes Timing und ein nicht optimaler Treffpunkt des Kopfballes dienen als Indiz. Doch warum werden Flugbahnen falsch eingeschätzt? Fehlerhaft weitergeleitete Informationen der Augen ans Gehirn führen dazu, dass kein beidäugiges Bild in sportartspezischen Situationen produziert wird. Dies lässt sich mit dem nötigen know-how schnell erkennen und beheben. Und ist tatsächlich wirksamer als hundert weitere isolierte Kopfbälle.